Abends, wenn der Vater
von der Arbeit nach Hause kam,
dann machte er sich oft
eine Brennsuppe,
die er mit einem Stück Brot
zu sich nahm.
Er schätzte die Brennsuppe
über alles. Für die Verdauung,
für den kleinen Hunger, oder einen
verdorbenen Magen gäbe es
nichts Besseres als eine
Brennsuppe, war er völlig
überzeugt.
Manchmal fragte er mich auch,
ob ich auch einen Teller mitessen wollte.
Meistens lehnte ich ab.
Hin und wieder ließ ich mich
aber dazu überreden
und dann sagte der Vater jedes Mal,
wenn wir zu essen begannen,
dass so eine Brennsuppe
ein wahres Gedicht sei.
Zirl 1999
der trost
vor gott sind wir
alle gleich.
und so lange
dauerts ja nicht mehr
Ehe
Früher, in den ersten Jahre ihrer Ehe,
wünschte sie sich nichts mehr als Kinder,
aber es klappte nicht und nicht.
Alles Mögliche wurde unternommen, ohne erfolg.
Das ließ sie verbittern.
Ihr Ehemann war ein Schlitzohr,
hatte eine Frauengeschichte nach der anderen.
E sah gut aus, hatte ein flottes Mundwerk,
war stets gut drauf.
Sie wusste von seinen Geschichten,
aber man besaß ein tolles Zuhause,
Reichtum und Wohlstand.
Er war die meiste Zeit ausser Haus.
Sie verbrachte die meiste Zeit in diesem,
räumte auf, putzte unentwegt,
hielt alles in Schuss,
wusch seine Unterhosen,
seine Socken,
bügelte die Hemden.
Immer war für ihn alles vorbereitet,
damit er in See stechen
oder in das gemütliche
Zuhause zurückkehren konnte.
Sie wusste, sie war nur sein Mutterersatz.
Ihre Verbitterung wich
mit der Zeit einem stillen Unglück,
verbunden mit der Angst,
dass er bei einer anderen ein Kind hätte.
Dann ließ sie sich die Haare wachsen.
Reith bei Kitzbühel
prediger
hüte dich vor den predigern der freiheit,
denn sie wollen nur mauern um dich errichten.
hüte dich vor den predigern der brüderlichkeit,
denn sie wollen dich nur in ihre gefolgschaft eingliedern.
hüte dich vor den predigern der wahrheit,
denn ihre einzige wahrheit ist die lüge.
hüte dich vor den predigern des friedens,
denn sie wollen nur überall die totenstille.
hüte dich vor den predigern der gerechtigkeit,
denn sie vertreten nur das unrecht.
hüte dich vor jenen, die es gut mit dir meinen,
denn sie sind dein untergang.
hüte dich vor den predigern gegen die macht,
denn sie wollen nur dich entmachten.
hüte dich vor den machthabern,
denn sie haben es nur auf deine machtlosigkeit abgesehen.
hüte dich vor den friedensengeln und hasspredigern,
denn sie wollen dich nur vor ihren unheilkarren spannen.
hüte dich vor allen, die dir etwas einreden wollen,
denn sie wollen dich nur bevormunden.
hüte dich vor deinen eigenen weisheiten und ansichten,
denn sie führen dich nur in die irre.
hüte dich davor, stets das zu sagen, was du dir denkst,
denn da kommt nichts kluges heraus.
misstraue allen hütern und predigern,
misstraue allen propheten und missionaren
und vor allem,
misstraue dir selbst
vor allem dir selbst,
denn ohne dieses misstrauen
wirst du untergehen
und scheitern
Fernweh
Die Sekretärin versteht ihren Chef einfach falsch,
wenn er sagt, daß er mit seiner Frau
nicht irgendwohin in den Süden fliegen will, weilsie
eine Orangenhaut hat.
Auch kann sie ihn nicht verstehen, wenn
er lächelnd meint, daß er seiner Frau im Bett
manchmal ins Ohr flüstert, daß er bereits neben
einer Großmutter schlafe.
Da kann sich die Sekretärin zwar nie zurückhalten
und kontert stets wie aus der Pistole geschossen,
daß auch seine Frau
neben einem Opa liege.
Und natürlich kann es die Sekretärin
überhaupt nicht verstehen, wenn sich ihr Chef
mit so einer„Tussi“ aus einer anderen Abteilung
einmal für ein zwei Stunden in ein Hotelzimmer verdrückt.
Da empfindet sie ihren Chef als nichts anderes als
ein Arschloch.
Aber natürlich kann sie ihm das nicht ins Gesicht sagen,
weil das dann wiederum der Chef nicht richtig
verstehen könnte.
Die Fremden
Die Fremden kommen,
hieß es im Sommer.
Die Fremden übernachteten in unseren Häusern
kaltes und warmes Wasser fließend
in den Zimmern mit Frühstück
war der große Renner
Die Fremden bringen
Wohlstand
Die Fremden beleben
die Wirtschaft
Seid freundlich zu den Fremden
wurde uns Kindern aufgetragen
Grüßt die Fremden freundlich
im Dorf
auf der Straße
denn die Fremden bringen
eine bessere Zukunft in unser Land
Am Abend am Straßenstand wartend
fingen wir die Fremden ab
wenn sie ein Zimmer suchten
für eine Nacht oder noch besser
gleich für mehrere
Die Fremden kamen
und brachten ihre Mädchen mit
Deutsche, Engländerinnen, Holländerinnen
süße kleine Mädchen
spülte die Fremdensaison in unser Dorf
und Zungenküsse
und wollüstige Finger
und Spritzereien
hinter Büschen
auf Parkbänken
im Kino
Unruhig und erwartungsvoll
wurden die Fremden herbeigesehnt
zu Sommerbeginn
zur Wintersaison
Die Fremden die Fremden
sie machten uns groß und stark
Sie brachten uns Wohlstand
und Glück und eine hoffnungsvolle
Zukunft
Die Fremden
die Fremden
(comaccio 20.6.14)
großmutter
bei großmutter wusste man nie,
ob sie tot war oder noch lebendig.
sie starb nicht an einem bestimmten tag,
sondern über jahre hinweg.
wir glaubten sie schon längst im grab,
als sie dann ganz überraschend
doch wieder auf der ofenbank lag.
sie verfluchte das jenseits,
sie hasste gott,
von dem sie annahm,
dass er sie ungerecht behandelt hätte.
alle ihre kinder ließ sie wissen,
dass sie nie wieder kinder in die welt
setzen würde.
und sie verschwand wieder
für einige tage
und wir hielten ausschau nach ihr,
in den innauen,
in den wäldern.
wir holten die gendarmerie zu hilfe,
wir gaben eine vermisstenanzeige auf,
jedoch ihre leiche wurde nicht gefunden.
oftmals hatte sie gedroht, ins wasser zu gehen
oder sich mit tabletten zu beseitigen.
nach tagen wurde die suche eingestellt
und ein onkel meinte,
sie solle bleiben, wo sie wolle.
aber kaum hatte man begonnen
ihre kleine wohnung auszuräumen,
lag sie plötzlich
wieder auf der ofenbank
und ließ ihrer wut
auf die katholische kirche,
das jüdische gesindel,
ihren missratenen kindern, freien lauf.
darum kamen alle mit
großmutter niemals zurande,
weil man nie genau wusste,
ob sie schon tot war
oder noch lebte.
cafe central
ins cafe central geht man,
um sich vom leben eine pause
zu nehmen
das man:
außerhalb ohnehin
nur versäumt - peter altenberg
weil das:
was man im leben verpasst,
das leben ist - richard ford
denn:
im kaffeehaus ist man
nicht zuhause
aber auch nicht
in der frischen luft - alfred polgar
triest, cafe mozart juni 2005
Marcello Mastroianni
Zur Eröffnung der Viennale wollten ihn die Veranstalter
in einem weißen Rolls-Royce über die Grenze bringen.
Aber das lehnte er ab.
So kam er ganz unauffällig in einem kleinen Wagen
in die Bundeshauptstadt.
Er wollte grüne Nudeln essen, aber die gabs im Hilton nicht.
Drum bestellte er sich ein Wiener Schnitzel.
Er fände die Fragen der Journalisten lächerlich.
Er sei kein junger Mann.
Er fühle sich alt und schwach.
Er habe sich nie gemocht.
Er verlangte nach einer Zigarette.
Das Leben sei schwieriger als zu filmen.
Darum filme er viel.
Die Filmerei sei für ihn Entspannung und Ablenkung.
Das befreie ihn von der Mühe er selbst sein zu müssen.
Dann war Marcello Mastroianni wieder aus Wien fort.
Aber er wolle wieder zurückkommen,
eines Tages,
um sich zu entspannen.
Es gäbe da ein Filmprojekt, sagte er lächelnd.
schreiben
schreiben
wie jemand schreibt,
die nicht
schreiben kann.
so würde man halt
gern schreiben.
Sprachpolizei
Sag nicht Neger
Sag nicht Titten
Verstoß nicht gegen gute Sitten
Sei ganz klug
und sei ganz schlau
sag zu Weibern höflich Frau
Denn sonst: eins zwei drei
huscht vorbei
die selbst ernannte Sprachpolizei
Jedes Wort
muss zum Rapport
denn eins zwei drei
du bist nicht frei
vor dieser verdammten Sprachpolizei
Maskulin und feminin
machen unsere Sprache hin
denn eins zwei drei
sie eilt herbei
diese geheime Sprachpolizei:
Drum sag nicht Neger
sag nicht Titten
Verstoß nicht gegen gute Sitten
Sei ganz klug
Sei ganz schlau
Sag zu Weibern höflich Frau
Aber lass dich nicht beflegeln
von diesen blöden Regeln
Es ist nun Zeit zu trotzen
es ist nun Zeit zu motzen
Drum schreien wir uns endlich frei
vor dieser geheimen Sprachpolizei
Eins zwei drei
du bist nicht frei
vor dieser geheimen Sprachpolizei
Jedes Wort
muss zum Rapport
Eins zwei drei
du bist nicht frei
vor dieser geheimen Sprachpolizei
Doch lass dich nicht beflegeln
von diesen üblen Regeln
Es ist nun Zeit zu trotzen
es ist es nun Zeit zu motzen
Drum schreien wir uns endlich frei
vor dieser geheimen Sprachpolizei.
Drum schreien wir uns endlich frei
vor der verdammten Sprachpolizei
Drum brüllen wir uns endlich frei
vor dieser geheimen Sprachpolizei
what is nude?
Alle sitzen sie im Auditorium
am North Beach von San Francisco.
Ray Bremser, mit den gelben Fingern
von den vielen Zigaretten, dessen Geliebte das
Geld auf der Straße verdiente, damit er
Gedichte schreiben konnte.
Gary Snider mit dem verschmitzten Lächeln
auf dem Sprung nach Japan in ein buddhistisches
Kloster, Corso mit wildem haar, eingeraucht
und besoffen, Kenneth Rexroth,
gekleidet wie ein alter anarchistischer Literaturwissenschaftler
aus dem neunzehnten Jahrhundert
und auch dieser Student, wahrscheinlich Berkely,
typisch Berkely, geht es die Runde
als Allen Ginsberg in Begleitung zu seinem
alten Harmonium über die Nacktheit singt,
oben auf der Bühne.
„what ist nude?“ brüllt
der aufgebrachte Student
mit hochrotem Kopf immer wieder,
„was verstehen sie darunter?“
und Allen legt sein
Musikinstirument zur Seite
und beginnt sich auszuziehen,
Hemd, Hose, Socken, Unterhosen, alles.
bis Ginsberg nackt auf der Bühne
steht und „that is nude“ sagt,
womit sehr viel gesagt ist.
Auf jeden Fall.
dez, 11.9.2005
wie geht’s
wie geht’s?
danke gut.
wie geht’s?
danke der nachfrage.
wie geht’s?
wieso, wer lässt fragen.
wie geht’s?
so wie die anderen wollen.
wie geht’s?
frag doch jemand andern.
wie geht’s?
keine ahnung.
wie geht’s?
wie soll es schon gehen.
wie geht’s?
warum?
wie geht’s?
ich bitte bitte bitte dich,
frage mich
was immer du willst,
nur nicht,
wie’s mir geht.
wien, cafe museum
Nachrichtensperre
Kaum fängt eine Nachrichtensendung an,
drehe ich das Radio ab,
oder ich wechsle das Programm im Fernsehen,
weil mir diese negativen Nachrichten aus aller Welt
den letzten Nerv ziehen.
Ich will es nicht mehr hören,
wenn Terroristen Unschuldige in die Luft jagen,
oder Aufständische irgendwo niedergemetzelt werden,
oder ein Atomkraftwerk in die Luft fliegt,
oder ein Erdbeben Hunderttausend Tote fordert,
oder Oppositionelle in China verschwinden.
Ich kann es einfach nicht mehr hören.
All diese Schreckensnachrichten vertrage ich nicht mehr,
und ich schalte ab, wechsle den Sender.
Es ist mir zuviel,
es hängt mir zum Hals heraus.
Hätte ich die Möglichkeiten,
dann würde ich allen Journalisten,
diesen Todesengeln von news and facts
vorschreiben,
dass sie für jede schlechte Nachricht,
die sie hinausjagen
auch eine positive zu verfassen hätten.
Das würde ich verlangen.
Jedenfalls habe ich in meinem Wohnzimmer
eine Nachrichtensperre verhängt.
Ich will nichts mehr hören und sehen
von den Grausamkeiten, überall auf der ganzen Welt.
Ich drehe ab.
Es reicht.
Ich will es nicht mehr hören
und nicht mehr sehen.
Ich bin so schon völlig vergiftet
von all diesen negativen Nachrichten
aus aller Welt,
all die Jahre über.
Kafka
Der liebe Franz
übertrug seinen Büroalltag
in der Unfallversicherung
auf die ganze Welt,
auf Gott,
auf alles.
So wie in der Unfalversicherung
ist auch dort niemand zuständig,
keiner verantwortlich,
alles nimmt seinen Lauf.
Jedem wird der Prozess
gemacht.
Der Papagei
Er war ein Einzelkind
und seine Familie hatte
auch noch einen Papagei.
Vater war sehr streng.
Er sperrte den Sohn in den Keller,
wenn er nicht parierte.
Einmal ließ der Sohn
den Papagei frei,
weil er mit dem Vogel im Käfig
so sehr Mitleid hatte
und ihm die Freiheit wünschte.
Darum prügelte ihn der Vater
grün und blau, sodass der Sohn
ausschaute wie ein Papagei.
Dann sperrte der Vater seinen Sohn
wieder in den Keller.
Der Papagei in der Freiheit
überlebte nicht lange,
weil er an das Leben ohne Käfig
nicht gewöhnt war.
Ein Kind fand den toten Vogel,
begrub ihn unter Tränen
in seinem Garten.
Armer Vogel,
sagte der Vater
dieses Kindes voll Mitleid.
Triest, Cafe Tomaseo